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Rezension

Erschienen im Newsletter der Goethe-Gesellschft in Weimar - Ausgabe 1/2016

 

Wolfgang Pollert:

Kennen Sie Goethe?

 

„Kenen Sie Goethe?“ Welche Frage, wer bringt den Mut auf, sie allen Ernstes, ohne Arg, vollen Herzens und mit heiterem Blick zu bejahen?

Es handelt sich hier selbstredend un eine rhetorische Frage, die Wolfgang Pollert als Titel für sein Goethe-Buch verwendet hat. Rethorisch Fragende erwarten keine Ant-wort, wollen aber auf ein Problem aufmerksam machen, das sich im Individuellen, aber auch im Sozialen nicht eben als belastend, so doch als befragenswürdig darstellt. Wie halten wir es mit Goethe, welche Antworten auf offene Sachverhalte der Gegen-wart vermag er uns zu geben? So könnte auch gefagt werden. Die 1885 gegründete Goethe-Gesellschaft in Weimar und ihre zahlreichen Ortsvereinigungen haben es sich zum Ziel gesetzt, solcherlei Themen nachzugehen. Wolfgang Pollert gehört zu den

Gründungsmitgliedern einer Ortsvereinigung, die noch jung an Jahren ist, seit 10 Jah-ren erst gibt es sie.Und dennoch hat sie unter der Ägide von Prof. Dr, Theo Stammen und seinem Stellvertreter Dr. Wolfgang Pollert bereits Beträchtliches geleistet.

 

Die dem Buch vorangestellten Halbjahresprogrmme geben darüber ebenso beredt Auskunft wie die in den vergangenen Jahren  absolvierten Aktivitäten der Augsburger. Sie sind darüber hinaus ein wertvolles Archivmaterial zum zehnjährigen Bestehen der Ortsvereinigung, mit dem die Augsburger Goethe-Freunde auch in der weiteren Zu-kunft arbeiten können. Der einleitende Essay, betitelt mit „Zugänge zu Goethe“, kann dafür als richtungweisend angesehen werden. Den Löwenanteil des Buches nehmen jene zwölf Vorträge ein, die Wolfgang Pollert, - in seinem ersten Leben Techniker und Ingenieur, im zweiten Politologe-, der 2003 mit einer Arbeit über Goethes amtliche Tätigkeit im Weimarer Staatsdienst promo-viert wurde, in den vergangenen Jahren vor den Augsburger Goethefreunden gehal-ten hat, bzw. noch halten wird. Pollerts Vorträge widmen sich weniger dem Dichte Goethe, vielmehr hingegen dem im gesellschaftlichen Leben agierenden Menschen, dem Politiker also, dem an naturwissenschaftlichen und technischen Fragestellungen Interessierten, Experimentier-freudigen, dem Reisenden. Dennoch kommt auch der Schöngeist Goethe nicht zu kurz. Der Leser wird in die Welt Wilhelm Meisters und des „West-östlichen Divans“ eingeführt, kann anhand der Zusammenführung Helenas mit dem Protagonisten im zweiten Teil der  „Faust“-Dichtung eine problematische Verbindung von Klassischem mit Romantischem nachvollziehen. Zudem erlebt er Goethe als Italienreisenden bzw. als Reisenden im Rheingau, dessen poetische Beschreibungen „diese begnadete Ge-gend“ (S. 201) in besonderer Weise interessant erscheinen lassen. Greifen wir aus der Fülle des Angebotenen einige Beispiele heraus. Im ersten Vortrag stellt der Autor Goethe als einen von Kindheit an politisch reflektierenden Zeitgenos-sen des 18. Jahrhunderts vor, dessen Autobiographie „Dichtung und Wahrheit“ wohl als biographisches Dokument zu bewerten sei, dem aber auch „das Prädikat einer pol-tischen Zeitanalyse“ (S. 51) erteilt werden müsse. Pollert, dessen Kennerschaft hinsichtlich Goethes amtlicher Tätigkeit in Weimar mit seiner Dissertationsschrift hinlänglich belegt ist, schöpft in seinem Vortrag über jenen Gegenstand aus dem Vollen. Die Amtlichen Schriften des Geheimrats, die einen völ-lig eigenständigen Textkorpus vorstellen, so argumentiert der Vortragende, können als wichtigster Nachweis seiner politischen Arbeit gelten. (S. 53). Anhand ausgewählter Beispiele aus den unterschiedlichsten Bereichen der amtlichen Tätigkeit Goethes er-bringt Pollert den Nachweis, dass die Schriften „die ausführlichsten und exaktesten Quellen des politischen Wirkens Goethes im Weimarer Staatsdienst“ (S. 62) sind. Sie erweisen sich als eine wichtige „historische Quelle für die Erforschung seiner An-schauungen“ und belgen, dass seine „amtliche Tätigkeit im Weimarischen Staats-dienst [….] ein wesentlicher Teil seines Lebens und Schaffens war“ (S. 63).

Auch der dritte Vortrag, der das Verhältnis Goethes zum Geld behandelt, kann auf die Vorarbeiten zur Dissertation zurückgreifen. Kenntnisreich referiert der Autor über Goethes Umgang mit dem Geld, berichtet über seine Einkünfte, seine ökonomischen Studien und geht schließlich auf das Geld und die Steuern im literarischen Werk des Weimarers, vornehmlich im Wilhelm Meister und den beiden „Faust“-Teilen ein. Wer sich über den Zusammenhang von Goethes naturphilosophischen Reflexionen und seinem Verständnis für technische Innovationen informieren will, kann das an-hand der Vorträge IV und V tun, wobei Letzterer auf die langjährigen Bemühungen

Goethes um das Ilmenauer Bergwerkswesen detailliert eingeht und dem Leser einen Goethe demonstriert, der in einer „konzertierten“ Aktion von juristischen, finanztech-nischen, ökonomischen, mineralogischen und geologischen Kenntnissen die Wieder-belebung in der Stadt am Fuße des Thüriner Waldes angeht – und schlißlich scheitert.

 

So bietet die Sammlung, der man etwas mehr Sorfalt bei der Endredaktion gewünscht hätte, einen detaillierten Überblick über verschiedene Arbeitsbereiche Goethes, bringt uns den Weimarer näher, leistet einen mehr als „bescheidenen Beitrag“ (S. 34) zum Schaffen Goethes in einer „Zeit gewaltiger Umbrüche“ ( S. 29). Es handelt sich um eine „Eigenproduktion der Goethe-Gesellschaft in Augsburg e. V“ die für die Augsburger Mitglieder gedacht und deshalb im Buchhandel nicht erhält-lich ist. Auf Anfrage kann aber von den Augsburger Goethefreunden eine Kopie er-stellt und geliefert werden.

 

Hans Joachim Kertscher